Es ist für die Träger der freien Wohlfahrtspflege fast wie ein Déjà-vu. Entgegen den Ausführungen im aktuellen Koalitionsvertrag "Mehr Fortschritt wagen" sollen die Bundesmittel für die Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer (MBE) gekürzt werden. Und zwar drastisch. Von circa 79,2 Millionen Euro im Jahr 2022 auf knapp 57,5 Millionen Euro. Diese Zahl ist zumindest dem aktuellen Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2023 zu entnehmen. Und diese Zahl nehmen die AWO und die beiden Caritasverbände im Kreis Kleve als Träger der MBE sowie der Internationale Bund (IB) als Anbieter der Jugendmigrationsdienste im Kreis Kleve zum Anlass, gemeinsam Alarm zu schlagen. Sie sagen: "Unsere Beratungsangebote sind in Gefahr."
Darauf weist zumindest Marcus Schweers ganz deutlich hin. Der Bereichsleiter für die AWO-Beratungsstellen im Kreis Kleve macht darauf aufmerksam, dass erst in diesem Jahr neue Mitarbeitende eingestellt wurden. "Wenn jetzt die Finanzierung wackelt, müssen wir als Träger und Arbeitgeber im schlimmsten Falle wieder kündigen." Einen Schritt, den eigentlich niemand gehen möchte. Und der auch im eklatanten Widerspruch zur Realität steht.
Markus Beckers (Migrationsberatung Caritas Kleve) und Malgorzata Dobrinkat (Jugendmigrationsdienst IB) im virtuellen Austausch mit Hroswith Kotters (MBE Caritasverband Geldern-Kevelaer), Nele Kraft (Jugendmigrationsdienst IB), Marcus Schweers (Awo Kreisverband Kleve) und Hatice Öksüz (Caritasverband Geldern-Kevelaer).Julia Lörcks
Zum Hintergrund: Im Kreis Kleve bieten die AWO sowie die beiden Caritasverbände Migrationsberatung für erwachsenen Zuwanderer an. 2021 wurden insgesamt 1505 Ratsuchende in 5957 Sitzungen von den Trägern beraten. Für die MBE gibt es kreisweit 3,5 Vollzeitstellen. "Aufgrund der Nachfrage haben wir im letzten Quartal 2021 und seit Juli diesen Jahres zudem noch zusätzliche Stunden durch Ergänzungsanträge abgedeckt", berichtet Hatice Öksüz, Fachdienstleitung Integration und Migration beim Caritasverband Geldern-Kevelaer. Das spiegelt sich auch in den aktuellen Zahlen wieder. Allein im Jahr 2022 (Stand: 8. September) gab es kreisweit bereits 1536 Beratungsfälle in 5433 Sitzungen.
"Der Bedarf ist größer als zuvor", sagt Hatice Öksüz. Das sei allen Verantwortlichen bekannt. So sei der Kreis Kleve als ein Kreis identifiziert worden, der personell nicht ausreichend besetzt ist. "Auch die bisherigen Mittelzuweisungen sprechen eine andere Sprache", sagt Markus Beckers, MBE-Berater beim Caritasverband Kleve. "Wenn man sich die Zuschüsse der vergangenen Jahre anschaut, dann gehen diese kontinuierlich in eine Richtung - nach oben." Das decke sich auch mit dem Haushaltstitel 2022, in dem der Ausschuss vermerkte: "Die Migrationsberatungen für erwachsene Einwanderinnen und Einwanderer leisten seit vielen Jahren eine exzellente Arbeit. Seit Jahren steigen die Zahlen der MBE-Beratungsfälle an. Auch vor dem Hintergrund der aktuellen Lage wird ein erhöhter Beratungsbedarf erwartet. Durch eine bessere Finanzierung der MBEs soll die Beratungsleistung verbessert werden."
Nun die Kehrtwende, die sich die Träger im Kreis Kleve beim besten Willen nicht erklären können. "Die von der Bundesregierung geplante Mittelkürzung kommt zu einer Zeit, wo Zuwanderung wieder zunimmt", sagt Hatice Öksüz. Damit sind nicht nur die vielen geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer gemeint, sondern auch die Schutzsuchenden aus Afghanistan. "Den neuen Zielgruppen stand innerhalb kürzester Zeit bundesweit eine erfahrene wie qualifizierte Beratungsstruktur zur Seite", so schreibt es auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege.
Denn MBE wird bundesweit seit 2005 gefördert. Mit der Einführung des neuen Zuwanderungsgesetztes im Jahr 2005 bietet auch der Caritasverband Geldern-Kevelaer diese kostenlose und unabhängige Beratung an. Der Caritasverband Kleve stieg zehn Jahre später mit ein. Die AWO ist seit 2018 im Boot. Dazu kommen die Jugendmigrationsdienste, die der IB seit vielen Jahren in Kleve und Geldern anbietet. "Unsere Arbeit lebt vor allem von einem großen Netzwerk. Deshalb zeigen wir uns mit den Kolleg:innen der MBE auch solidarisch", sagt Malgorzata Dobrinkat, die den Jugendmigrationsdienst in Kleve innehat.