Es sieht nach einer herkömmlichen Bastelstunde im Offenen Ganztag der Marienschule in Materborn aus. Sechs Kinder sitzen an einem Tisch, haben Scheren zur Hand. Vor ihnen liegen Fäden und bunte Perlen. Am Ende der Stunde wird jeder von ihnen ein Freundschaftsarmband tragen. Doch währenddessen, die Zeit zwischen der ersten Perle und dem fertiggestellten Armband, ist viel mehr als reine Handarbeit. "In dieser Zeit wurde einmal nicht gesprochen. Nur mit Blickkontakten, mit den Farben und der Anordnung der Perlen sollten Gefühle und Emotionen zum Ausdruck gebracht werden", sagt Dagmar Nieke und ergänzt: "Wir befinden uns schließlich in der Raumstation."
"Raumstation" - das ist ein Projekt von Dagmar und Till Nieke. Die Kindheits- und Medienpädagogin ist nicht nur Mitarbeiterin der Caritas-Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Familien. Seit 2015 ist sie auch Mitbegründerin der Firma Diskurs Niederrhein. Dabei handelt es sich nach eigenen Angaben um ein junges Projektteam mit dem Ziel, Innovationen für die pädagogische Praxis zu entwerfen. "Wir entwickeln Konzepte, Projekte und gestalten Fortbildungen zu kindheits- und medienpädagogischen Themen", sagt Dagmar Nieke.
Einmal ein Video drehen mit Greenscreen – das macht den Kindern besonders viel Freude: Till Nieke macht es beim Projekt Raumstation möglich.
Das Projekt "Raumstation" ist eines davon. Während der Corona-Pandemie entstanden, befasst es sich mit kindlichen Verhaltensauffälligkeiten und der Regulierung von Ängsten und Unsicherheiten. "Die Kinder haben in dieser Zeit unheimlich viel erlebt, was sie nicht verarbeiten konnten. Gleichzeitig haben sie auch viel aufzuholen. Um den Weg zurück in Kita und Schule zu erleichtern, haben wir das Konzept entworfen", erklärt Dagmar Nieke. Die Raumstation sei eine intensive Zeit und ein sicherer Ort zugleich. "Es ist geschützter Raum für eine kleine Gruppe. Acht bis zehn Kinder, die nichts leisten müssen. Im Gegenteil, in der Raumstation können sie loslassen. Ängste. Gefühle. Unsicherheiten. All jene Themen, die nicht nur durch die Corona-Pandemie, sondern auch aufgrund des Ukraine-Krieges, aufgrund von Krankheiten, Trauer und Tod täglich auf dem Tisch liegen", sagt Dagmar Nieke. Bestandteile des Konzeptes sind Gespräche, Bewegung und Medienpädagogik. "Wir trommeln. Wir forschen und entdecken. Wir nehmen Filme auf, arbeiten mit Greenscreen, eben all das, was Kindern Freude macht", erklärt Dagmar Nieke. Im Fokus stehen dabei immer auch die Kinderrechte.
Einer, der zuerst von der Raumstation Gebrauch machte, war der Caritasverband Kleve. "Wir haben das Konzept für unsere Offenen Ganztagsschulen in Materborn und Kellen gebucht. Jeweils für ein halbes Jahr waren die Fachkräfte in unseren Einrichtungen", sagt Elke Kotthoff, Fachbereichsleiterin Kinder, Jugend und Familie, und ergänzt: "Überzeugt hat uns vor allem die wertschätzende und fördernde Pädagogik. In der Raumstation werden kleine, empfindsame Persönlichkeiten gestärkt."
Das kann Kirstin Schlünzen-Mulder nur bestätigen. Die Mitarbeiterin des Offenen Ganztages an der Marienschule in Materborn hat das Projekt, an dem acht Mädchen und Jungen für fünf bis sechs Einheiten à zwei Stunden beteiligt waren, begleitet. "Wir haben uns Kinder ausgesucht, die nach Corona sehr ängstlich und unsicher waren", berichtet Kirstin Schlünzen-Mulder. Alle hätten gut mitgemacht und davon profitiert. "Ihr Selbstwertgefühl ist enorm gestiegen. Sie konnten in dieser Zeit durchatmen, verschnaufen und viel Kraft tanken."
Dagmar Nieke ist Mitarbeiterin der Caritas-Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Familie sowie Mitbegründerin von Diskurs Niederrhein.Diskurs Niederrhein
Dass das Projekt bei Schule und Schüler:innen gut angekommen ist, zeigt auch die Tatsache, dass nun bereits die zweite Gruppe "Raumstation" im Offenen Ganztag am Start ist. "Hier haben wir leider nur eine Stunde intensive Zeit mit den Kindern", sagt Kirstin Schlünzen-Mulder, die ebenfalls an der Fortbildung "Fachkraft Raumstation" teilgenommen hat. Die Fortbildung kann, muss aber nicht Bestandteil des Projektes sein. "Wir passen die Raumstation individuell nach der jeweiligen Einrichtung an. Wichtig ist nur, dass sie auch nachhaltig ist", sagt Dagmar Nieke.
Info: Eine Video-Zusammenfassung vom Projekt "Raumstation" für acht Kinder des Offenen Ganztages an der Marienschule in Materborn gibt es hier.