Rita Fergen, Leiterin der Schuldnerberatung des Caritasverbandes Kleve, mit dem neuen Gesetz.Julia Lörcks
Das Gesetz ist unterschrieben und gilt seit dem 30. Dezember 2020 rückwirkend zum 1. Oktober. Die Rede ist von der Verkürzung des sogenannten Restschuldbefreiungsverfahrens in der Verbraucherinsolvenz. Was sich kompliziert und komplex anhört, ist gerade in Zeiten der Corona-Pandemie - in der viele Menschen in finanzielle Schieflage geraten - von großer Bedeutung. Es geht um Existenzen und um Teilhabe am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben. Wir versuchen, die wichtigsten Fragen zu beantworten.
Was ist eine Verbraucherinsolvenz?
Insolvenz - für die meisten Menschen ist das wohl der schlimmste, finanzielle Fall, der eintreten kann. Tatsächlich kann eine Insolvenz aber auch eine Art Befreiung sein, wie die Mitarbeitenden der Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle des Caritasverbandes Kleve meinen. Denn das 1999 eingeführte Verbraucherinsolvenzverfahren soll helfen, Probleme zu lösen. Das heißt: Gläubiger sollen wenigstens einen Teil der fälligen Zahlungen erhalten und Schuldner sollen mit der sogenannten Restschuldbefreiung eine zweite Chance erhalten. So kann das Gericht sie unter bestimmten Voraussetzungen von nahezu allen Schulden befreien.
Was genau ist eine Restschuldbefreiung?
Mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beginnen eine Abtretungsfrist und damit das sogenannte Restschuldbefreiungsverfahren. Ziel ist die Restschuldbefreiung. Diese kann ein Gericht nach einer bestimmten Zeit erteilen.
Was ist neu im Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens?
Die sogenannte Abtretungsfrist verkürzt sich von bisher sechs auf jetzt drei Jahre. Für den insolventen Verbraucher heißt das: Wenn alles gut läuft, ist er oder sie nach drei Jahren schuldenfrei. Die Mitarbeitenden des Caritasverbandes betonen aber, dass sie grundsätzlich einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen. Das heißt: Erst wird geschaut, wo die Probleme liegen und wie man diese beheben kann. Erst danach wird ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit anschließendem Restschuldbefreiungsverfahren gestellt. Dabei profitieren die Schuldnerberater natürlich auch vom Netzwerk des Caritasverbandes.
Die Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle des Caritasverbandes Kleve hat ihren Sitz an der Arntzstraße 9 in Kleve.Julia Lörcks
An welche neuen Bedingungen ist das neue Verfahren geknüpft?
Im Insolvenzverfahren gibt es eine sogenannte Wohlverhaltensperiode. Diese beginnt nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens und endet grundsätzlich mit dem Ende der Abtretungspflicht. In der Wohlverhaltenszeit haben Schuldner verschiedene Pflichten - zum Beispiel einer Erwerbstätigkeit nachzugehen oder sich um eine bemühen. Darüber hinaus müssen Schuldner Vermögen abgeben - zum Beispiel Gehalt oder ein Erbe. Diese Herausgabe gilt fortan auch für Schenkungen sowie für Gewinne aus Lotterien. Davon ausgenommen sind kleine Geschenke wie zum Beispiel Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenke. Des Weiteren dürfen keine neuen, unangemessenen Verbindlichkeiten gemacht werden. Was genau dazu zählt, wird die Rechtsprechung zeigen.
Warum wurde das Insolvenzverfahren überhaupt auf drei Jahre gekürzt?
Ursächlich ist eine Richtlinie der EU, die im Juli 2019 in Kraft getreten ist. Sie besagt, dass das deutsche Insolvenzverfahren zum 1. Juli 2021 angepasst werden muss. Und zwar eben auf dieses verkürzte Verfahren von drei Jahren. Aufgrund der Corona-Pandemie - so vermuten es zumindest die Schuldnerberater_innen des Caritasverbandes Kleve - hat das Thema Fahrt aufgenommen.
Seit wann gilt das neue Verfahren in Deutschland?
Das neue Gesetz wurde am 30.12.2020 im Bundesanzeiger veröffentlicht und gilt rückwirkend zum 1. Oktober 2020. Für alle Verfahren, die zwischen dem 17.12.2019 und 30.09.2020 eröffnet wurden, gilt eine Übergangsregelung von maximal vier Jahren und zehn Monaten.
Für die Zukunft: Welche Fristen gelten für Menschen, die schon einmal eine Restschuldbefreiung erhalten haben?
Seit dem 1. Oktober 2020 gilt: Wer schon einmal eine Restschuldbefreiung erhalten hat, bekommt eine Sperrfrist von elf Jahren. Früher waren das zehn Jahre. In der Zwischenzeit kann kein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt werden. Nach der Sperrfrist erhöht sich die Abtretungsfrist im Restschuldbefreiungsverfahren von drei auf fünf Jahre.
Die Schuldnerberatung der Caritas in Kleve.Julia Lörcks
Wie bewerten die Schuldnerberater des Caritasverbandes Kleve das neue Gesetz?
Die Schuldnerberater_innen des Caritasverbandes Kleve begrüßen das neue Gesetz. Private Überschuldung sei in Deutschland ein gesamtgesellschaftliches Problem und trete in den meisten Fällen in Folge von Arbeitslosigkeit, Trennung und Scheidung oder Krankheit auf. Zudem sei es normal, zum Teil auch gewollt, sich nicht mehr nur für höhere und langfristige Investitionen, sondern mittlerweile auch für Konsumgüter zu verschulden. Durch die Verkürzung der Abtretungsfrist von sechs auf drei Jahren haben Schuldner schneller die Möglichkeit, wieder an der Wirtschaft und somit auch an der Gesellschaft teilzunehmen.
Info - das ist die Schuldnerberatung des Caritasverbandes Kleve
Wer und was: Die Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle des Caritasverbandes Kleve gibt es seit 1987 - damals ist sie als Pilotprojekt gestartet. Fünf Jahre später wurde der Fachdienst Schuldner- und Sozialberatung beim Caritasverband Kleve gegründet. Seit 1999 ist die Einrichtung anerkannte und gemeinnützige Schuldner- und Beratungsstelle im Land. Das heißt: Die Mitarbeitenden beraten und unterstützen verschuldete Personen im außergerichtlichen Einigungsversuch mit den Gläubigern. Außerdem werden zum Beispiel sogenannte P-Konto-Bescheinigungen ausgestellt. Leiterin der Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle ist Rita Fergen. Sie leitet beim Caritasverband Kleve zudem den Fachbereich Soziale Hilfen. Unterstützt wird sie von den Schuldnerberatern Heidrun Hendricks-Welskop, Anke Pooth, Stefan Schraven und Elke Trepmann sowie den Verwaltungsmitarbeiterinnen Chris Sachinidou-Gastens, Elena Grabinski und Monika Kunst.
Kontakt: Caritasverband Kleve, Schuldner- und Insolvenzberatung, Arntzstraße 9, 47533 Kleve. Telefon: 02821 7209220, E-Mail: schuldnerberatung@caritas-kleve.de. Öffnungszeiten: Montag bis Donnerstag von 9 bis 12 Uhr und von 14 bis 16 Uhr sowie Freitag von 9 bis 12. Einmal in der Woche sind die Berater auch in Kalkar (montags), Goch (dienstags), Rees (mittwochs) und Emmerich (donnerstags) vor Ort. Persönliche Beratungstermine sind derzeit nur nach telefonischer Anmeldung möglich.